DER WALD

EIN FILM VON VIKTOR GAsIc

SYNOPSE

Zwei Paare unternehmen mit ihren Kindern einen Ausflug in den Wald. Sie sind jung, erfolgreich und fester Bestandteil des heutigen sozialpolitischen Establishments. Als ihre Kinder bei einem Unwetter verschwinden, beginnt das Konstrukt ihrer Freundschaft zu bröckeln. Sehr bald fällt die bürgerliche Fassade und aus den Vieren entsteht ein Psychogramm einer verlorenen Kultur. Es beginnt eine Odyssee durch die Wälder, die immer mehr zu einer Reise in

das Metaphysische wird. Die Geschichte wird fragmen-tarisch und nicht chronologisch erzählt. Sowohl in der Psychologie als auch in der Traumdeutung ist der Wald ein vielfach interpretierbares Symbol. Er verbirgt das Gute sowie das Schlechte und vernetzt das obere wie auch das untere Prinzip der Natur. Es entsteht ein poetisches Portrait der heutigen Gesellschaft, die verzweifelt nach einem Ausweg und einer Zukunft sucht.

„Wir steigen in denselben Fluß

und doch nicht in denselben;

wir sind es, und wir sind es nicht.

HERAKLIT

„Wen würdest du wählen:

Den Teufel, der dich zu Gott bringt,

oder den Gott, der dich zum Teufel bringt?“

G.I. Gurdjieff

DirectORS STATEMENT

Die Idee hinter der Oberfläche

Der Regisseur über den Film

Ich sehe den Film als eine zeitgenössische, filmische Prosa, eine Art poetischer Realismus. Der Traum von permanen-tem Fortschritt der Moderne ist in der heutigen post-modernen Gesellschaft endgültig passé. Sozial und politisch befinden wir uns in einem Vakuum Universum, in dem die alte Idee gestorben und die neue noch nicht geboren ist. Alles wird relativiert und nichts ist von Bestand. Beide Hauptfiguren, sowohl Paul, als auch Marek sind des-illusioniert, der eine als Idealist, der andere als pragma-tischer Materialist. Wenn die Kinder in einem Unwetter verloren gehen, richtet sich der Blick auf die Zukunft. Die zeigt das Abbild einer abgestumpften, emphatielosen Ge-sellschaft, die weder für sich selbst noch für Andere fähig ist, Sorge und Verantwortung zu tragen. Die Geschichte der Menschheit ist eigentlich eine Tragödie, denn irgendwann geht alles zu Ende. Doch die Natur des Menschen als Einzelnen hat immer noch eine Chance, sich neu zu erfinden. Wir stehen am Scheideweg der Geschichte und es ist unsere Wahl, ob wir alt „bewährte“, primitive Macht-strukturen wählen oder ob wir genug Mut haben, einen neuen Weg mit Verstand und Humanismus zu beschreiten.

 

Über die Metaphysik im Film

Wenn ich von Metaphysik spreche, dann meine ich nicht die, von Menschen erfundene (und dementsprechend nach menschlichem Abbild) personifizierte Metaphysik, die orga-nisiert und systematisch institutioniert ist, ähnlich einer McDonald Filiale. Metaphysik ist für mich ein Begriff aus der antiken Philosophie und bedeutet die verborgene Natur. Die

Authentizität eines künstlerischen Werkes wie z.B. bei einem Film liegt in der Idee. Diese Idee ist aber nicht sofort sicht-bar, sondern liegt verborgen hinter der audiovisuellen Ober-fläche des Films. Als Kind habe ich Filme von Pasolini, Antonioni, Zanussi oder Tarkowskij gesehen und obwohl ich damals diese Filme nicht verstanden habe, haben sie auf mich einen starken Eindruck hinterlassen, so dass mich die Bilder, Dialoge und die Atmosphäre dieser Filme Jahrzehnte lang beschäftigt haben. Das war vielleicht auch einer der Hauptgründe, warum ich Film studiert habe. Als ich mir dann diese Filme nach so langer Zeit mehrere Male und mit anderen Augen nochmal angesehen habe, war mir der Moment, an dem mir die Idee der Filme näher kam, wie eine Offenbarung. In dieser Hinsicht ist der Film als Kunst auch eine metaphysische Erfahrung. Nicht die Protagonisten ma-chen hier die klassische Heldenreise nach Campbell, sondern der Zuschauer als Einzelner. So gesehen hat „Der Wald“ keine horizontale, sondern eine vertikale Dramaturgie.

Über Film als Kunst

Claude Chabrol meinte, es gibt zwei Arten von Filmema-chern: Die einen sind Geschichtenerzähler, die eine Ge-schichte erzählen wollen und die anderen sind Poeten, die eine Weltanschauung oder Meinung vertreten. Ich sehe Film als Kunst, die alle anderen Künste in sich vereint. Im Film gibt es einen Vortrag von Paul, bei dem er über sub­jektive und objektive Kunst redet. Der Begriff von subjektiver und objektiver Kunst stammt eigentlich von Gurdjieff, der eine steht als Begriff für die Oberfläche oder Form während der andere das Verborgene oder den Inhalt meint. Um aus einem Film auch Kunst zu machen, reicht es nicht, sich der technischen Werkzeuge zu bedienen und die filmischen Regeln zu beherrschen. Die wichtigste Stufe auf dem Weg zur Kunst sind eigene Lebenserfahrungen, in denen das Gelernte oder Erlebte innerlich verarbeitet wird. Denn ge-nau wie Philosophie wird auch die Kunst aus dem Zweifel des Einzelnen geboren. Dies ist die Phase künstlerischer Selbstverwirklichung und hat etwas sakrales, anthropolo-gisches in sich. Es ist die Kontemplation, denn dies funk-tioniert nur im inneren Dialog mit der Natur. Ein Kunstwerk wird immer mit eigenem Blut gemalt und geschrieben. Es ist ähnlich einem Bauwerk, das aus dem Nichts oder einer Idee entsteht. Umso komplexer die Architektur des Bauwerks, umso höher ist der Preis dafür. Denn der Preis, den ein

 

Künstler für sein Meisterwerk bezahlen muss, ist die Einsamkeit. Umso anspruchsvoller und höher seine Kunst, umso weniger Rezipienten und Anerkennung erreicht das Werk. Und obwohl dieses wie ein Turm von Babylon über die Halbkugel hinausragt, wird es kaum wahrgenommen. Das ist das Paradox, dass die höchste Kunst oft als tote Kunst bezeichnet wird, weil sich die Idee dahinter nur für wenige offenbart. Und dann kommt natürlich die Frage: Warum macht einer überhaupt Kunst, wenn dies von keinem „Nutzen“ ist? Wozu dann der ganze Aufwand zur Eroberung des Nutzlosen? Um das eigene künstlerische Ego zu befriedigen oder aus dem Bedürfnis heraus, eigene Er-fahrungen oder Meinungen zu vermitteln? Es gibt einen wunderschönen Satz von Tarkowskij: „Die Menschheit hat außer dem künstlerischen Bild nichts uneigennützig erfun-den, und vielleicht besteht tatsächlich der Sinn der mensch-lichen Existenz in der Erschaffung von Werken der Kunst, im künstlerischen Akt, der zweckfrei und uneigennützig ist. Vielleicht zeigt sich gerade darin, dass wir nach Gottes Ebenbild erschaffen wurden.” 1

Denn von welchem Nutzen sind Erfahrungen, die wir ma-chen, wenn nicht von jenem, uns zu verwirklichen und weiter zu entwickeln? Und Kunst als solche ist die höchste Form des Menschen Daseins.

Über die Natur

Wir kommen nackt, ohne Vorurteile auf die Welt. Doch gleich nachdem wir die Augen geöffnet haben, warten vor-gefertigte „Kleider“ in Form von Nation, Religion, Kultur oder sozialem Status auf uns. Wir ziehen diese an und spielen das Spiel des Lebens. Das Leben wird zum Karneval, zur politischen Farce. Wir tragen diese Kleider, einige sterben sogar dafür, ohne, dass sie sich einmal hinterfragt haben: „Bin ich das wirklich?“ So wird das Ego zur treibenden wie auch zur selbstzerstörerischen Lebenskraft. Jeder Mensch ist in seinem tiefsten Innern eigentlich ein Idiot, ein Idiot, weil er den wahren Grund seiner Existenz weder kennt, noch jemals erfahren wird. Er wird in diese Welt hinein-geworfen und ist von Anfang an als Individuum verloren. Er klammert sich verzweifelt an die Gesellschaft, um einen Platz zu finden und Anerkennung zu erhalten. Am Ende bleibt ei-

 

nem nicht viel übrig, außer sich dem Fluss des Lebens hinzugeben und vom Wasser treiben zu lassen. Paul und Marek können kaum unterschiedlicher sein und dennoch ist die Linie, die die beiden trennt, marginal, es kommt auf die jeweilige Perspektive der Betrachtung an. Der eine glaubt an das, was er hat und was er haben will, während der andere daran glaubt, wer er ist oder wer er sein möchte. Ständig geht es nur um Haben oder Sein. Die Natur ist von bi-polaren Kräften umgeben, die sich in ständigem Wandel bewegen. Die zwei Strömungen, die irgendwann zu einem werden, ist die lebende Dialektik der Natur. Es ist größte Herausforderung des Lebens, alles los zu lassen, um sein eigenes Konzept zu finden und dem dann auch treu zu bleiben. Selten hat ein Mensch sein Ego besiegt und sich selbst überwunden.

 

Über die Möglichkeit der Utopie heute

Utopie als eine vollkommene Gesellschaft ist die Heimat der Kunst. Es ist die Perspektive aus der der Künstler die Welt betrachtet. Erst im Vergleich zur Realität bekommt ein künstlerisches Werk seine Wahrhaftigkeit und seine Be-deutung. Das ist auch der Grund, warum wahre Kunst fast immer kritisch ist. Früher war der Blick des Künstlers auf seine unmittelbare Gesellschaft gerichtet, heute, im globalen Zeitalter mit seiner medialen Präsenz ist das die ganze Welt. Wir alle drehen uns im gleichen Kreis. Alles hängt zu-sammen.

 

Seit Entstehung der Welt treibt die Menschheit mit Idealen von Gleichheit und Gerechtigkeit in eine bessere Zukunft voran. Die Vision von der besseren Zukunft war Teil des gesellschaftlichen Lebens, das war der Traum einer freien Welt. Seit der Industrialisierung ab der Mitte des 19. Jahr-hunderts, der technologischen Entwicklung der Neuzeit und der philosophischen Aufklärung des 18. und 19. Jahr-hunderts schien es, dass die utopische Erwartung  von der perfekten Welt so greifbar nahe ist. Doch dieses sozial-idealistische Kontinuum hat in den letzten 30 Jahren einen Bruch erlitten und stagniert. Wir befinden uns jetzt an einer Art evolutionärer Kreuzung; entweder dem alten Weg der sozial-darwinistischen, gegenseitigen Ausbeutung weiterhin zu folgen oder einen neuen Weg, dem einer gerechteren und optimierten Weltwirtschaft, in dem nicht nur die ganze Menschheit, sondern auch die Natur eingebunden wird, anzutreten. Die Geschichte lehrt uns, dass erst nach einer großen Katastrophe der Mensch fähig ist, einen neuen und evolutionären Weg zu suchen. Abgesehen von den Natur-katastrophen, die ohne menschliches Einwirken entstehen, gibt es Katastrophen, die die Menschen selber verursacht haben. Wie z.B. die Wirtschaftskatastrophe der 30er Jahre im letzten Jahrhundert. Diese, wie bekannt, hat sich von Amerika aus, in einem Dominoeffekt über die ganze Welt ausgebreitet. Und wie wir wissen, endete diese Wirtschafts-krise damals mit einem Weltkrieg. Die vielleicht beste Lehre, die die Menschheit daraus gezogen hat, war die Gründung der Vereinten Nationen gleich nach dem Krieg im Jahr 1945, eine Idee, die aus jetziger Sicht als Vorreiter der heutigen Globalisierung der Märkte angesehen wird. So, wie die Wirt-schaftskrise von 1929 sind auch die Krisen von 2008 und 2010, Krisen, die der Mensch selber verursacht hat.

 

Eine der Aufgaben der Kunst ist es, auf die Probleme der Welt aufmerksam zu machen, die Aufgabe der Politiker ist es, diese zu lösen. Es ist gerade nicht so, dass die Weltpo-litik von den intelligentesten, also den Wissenschaftlern und/oder Humanisten, also Soziologen und Philosophen ge-führt wird. Im Gegenteil sind es die gewöhnlichen Men-schen, die führenden Oligarchen oder die von Macht beses-senen, egoistischen Diktatoren, die das politische Klima von heute ausmachen. Dies ist aber kein Novum, wenn man in die Vergangenheit zurückschaut. Vielleicht haben sich die Kleider und Frisuren derjenigen oder die Namen der In-stitutionen im Laufe der Zeit geändert, aber es sind immer noch die gleichen Gesichter und Organisationen, die sich gegenseitig die Macht zu schaukeln. Das demokratische Karussell dreht sich selten nur nach vorne: Es wird ein Schritt nach vorne gemacht, doch bei den nächsten Wahlen geht es wieder zwei Schritte zurück.

 

Bei der Bankenkrise vor ein paar Jahren ist das Paradox par Excellence, dass ausgerechnet diejenigen, durch deren Ka-pital Gezocke die Krise verursacht wurde, von der Politik ausgewählt wurden, die Lage mit staatlichen Steuergeldern zu stabilisieren. Und statt danach den Geldfluss unter so-ziale Kontrolle zu stellen, geht alles wieder seinen alten Gang. Deswegen kann man in sozialpolitischer Hinsicht eher von einem Rückschritt als von einem Fortschritt reden.

 

Die Ideale der französischen Revolution und der Aufklärung sind korrumpiert, die Ideale der kommunistischen Revo-lution wurden verraten. In dieser Hinsicht hat Marx auch Recht, wenn er behauptet, dass alle bisherigen Revolutionen nur eins gezeigt haben, nämlich, dass sich viel ändern lässt, bloß nicht die Menschen.

 

Der totale Zusammenfall jeglicher, utopischer Ideale hängt mit dem Aufstieg des entfesselten Kapitalismus als einziges, anerkanntes, globales, politisches und wirtschaftliches System zusammen. Wir leben heute in einem noch nie da gewesenen Wohlstand. Doch der konsumistische Wohlstand auf einer Seite ist trügerisch. Die Frustration und der Unmut der ins Abseits Geschobenen auf der anderen Seite können eines Tages eine Lawine auslösen. Denn einerseits wandern zunehmend Konzerne in die dritte Welt ab, um sich auf Kosten von Einheimischen breit zu machen und anderseits, obwohl es genügend Mittel und Technik gibt, um alle Pro-bleme der Nahrungs- und Wasserknappheit der Welt innerhalb von 24 Stunden zu lösen, besteht von den Seiten der Mächtigen kein Interesse daran, weil das kaum Profit einbringt. Die Folge ist, dass die dritte Welt auswandert, weil sie kaum noch freien Lebensraum hat. Fast alles wird dem Profit untergeordnet, sowohl das Wasser, als auch die Meere oder Wälder werden kommerzialisiert. Diese Umwandlung der Werte könnte man auf alle Ebenen des sozialen Lebens ausweiten, egal ob es um Politik, Sport oder Kunst geht, derjenige der mehr bietet, erhält den Zuschlag.

 

Das neoliberale System des globalen freien Marktes nach Chicago School hat sich spätestens nach der zweiten Bankenkrise von 2010 als ein primitives System des wirtschaftlichen Kannibalismus erwiesen. Der größere Kon-zern übernimmt den kleineren oder anders ausgedrückt, der größere Fisch frisst den kleineren. Die Überlebens-strategie des neo­liberalen freien Marktes ist nicht weit entfernt von der „Wildnis Überlebensstrategie“. Um sich in der Gesellschaft zu behaupten, wird der Mensch „entmenschlicht“. Eine Parabel dazu findet sich in der griechischen Mythologie, in der Sage des Kronos, der seine eigenen Kinder verspeist, weil er um seine Herrschaft fürchtet. Ohne soziale Gesetze entstehen Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit, wie in der Wildnis, wo es beim täglichen Überleben um das Gesetz des Stärkeren geht. Das Problem ist auch, dass wir genau die gleichen Wirt-schaftsstrukturen und damit die gleichen Leute, die das Problem verursacht haben, beauftragen, das Problem zu beheben. Weder Politik noch das Wirtschaftswesen haben sich verändert, weil keiner von den Verursachern zur Rechenschaft gezogen wurde und auch keiner von denen bereit ist, Fehler einzugestehen. So, wie im Mittelalter schon der Papst und die Kirche über dem Staat stand, sind das heute die Banken. Dies führt letztendlich dazu, dass Ma-nager und die Finanzbranche weiterhin unverhältnis­mäßig hohe Bonuszahlungen auf Kosten von Steuerzahlern kas-sieren. Es entsteht ein soziales Spannungsfeld, denn die Rei-

 

chen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Laut Hilfsorganisation Oxfam wird das reichste Prozent der Weltbevölkerung schon im kommenden Jahr (2016) mehr besitzen als die restlichen 99 Prozent. Die 85 reichsten Menschen der Erde besitzen genau soviel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen – das sind ca. 3,5 Milliarden Menschen. Die sozialen Grundordnungen einer zivilisierten Gesellschaft, wie z.B. Arbeitsrechte, Kranken-versicherungsschutz, Aus­bildung, Studium und Renten-versicherung werden immer mehr zum Opfer solcher „Kapital-Rettungsaktionen“. So z.B. erhalten die Univer-sitäten in Großbritannien keinerlei Finanzierung mehr für geisteswissenschaftliche Fächer, weil, so die Begründung, diese die Produktivität (von Privatunternehmen natürlich) nicht steigern. 2

 

Das entfesselte Kapital ist von jeglicher, sozialer Ver­­­antwor­tung befreit, es gibt dem Anschein nach immer neuere Me-thoden, die Fairplay Regeln zu umgehen. Der wahre Motor unserer heutigen Gesellschaft beruht immer noch auf der sozialen Unsicherheit und existenziellen Angst. Eigentlich sind es die „archetypischen“ Ur-Motive. Ist der Mensch fähig, aus der Geschichte etwas zu lernen, um sich wei-terzuentwickeln oder ist er immer noch an den egoistischen Urinstinkten seiner Natur gebunden? Die soziale Beschleu-nigung des postmodernen Zeitalters haben diese Ängste noch mehr verstärkt. Durch die ständige technologische Entwicklung, soziale Umwandlung und politische Anpassung ist der Mensch noch mehr Mittel zum Zweck geworden. Er pro­duziert mehr, um mehr zu konsumieren und konsumiert mehr, um mehr zu produzieren. Ich kaufe also bin ich. Fair Trade Handel, Bio und nachhaltige Wirtschaft, Veganismus, Vegetarismus, ethische Bankensysteme sowie Grundein-kommen sind neue utopische Werte der neuen Consumer Democracy Generation nach 68’.

 

Die Sache mit dem globalen Kapitalismus von heute ist ziemlich komplex geworden. Das Hauptproblem des heu-tigen Zeitalters und der Unmöglichkeit einer Utopie besteht darin, dass nicht mehr das Medium Wort sondern das Medium Geld der kommunikative Kern der Gesellschaft geworden ist. Kein Ideal ist mehr von Bestand, alles lässt sich kaufen und verkaufen, alles hat seinen Preis. Doch die Natur des Menschen, seine Ehre, sein aufrichtiger Charakter als einzelnes Individuum ist aus dem Wort gebaut, es ist seine sowohl soziale als auch geistige existenzielle Essenz, die wenn auch nur teilweise entnommen, ein anthropo-logisches Diskontinuum, eine evolutive Depression oder sogar Degeneration verursacht. Es ist ein Angriff auf die Natur des Menschen, auf seinen aller innersten Kern, eine Schocktherapie ähnlich der BSE Krankheit bei Kühen, die man versucht hat, mit tierischem Mehl zu füttern. Es herrscht ein desillusioniertes Klima von einem nihilistischen Vakuum in dem jegliche Utopie nur noch Ab­straktion geworden ist.

Das Leben hat sich verändert, es ist schneller und un-übersichtlicher geworden. Der Gott, wie es Nietzsche meinte, ist längst tot und begraben, doch seine Leiche lebt weiter, sie wird weiterhin von religiösen Institutionen ver-marktet oder sogar von der Politik in abgelegenen Provinzen der Welt missbraucht. Währenddessen ist in den urbanen Gegenden mit Computer und Internet ein neuer Gott erschaffen worden, der Gott der permanenten Unterha-ltung. Ähnlich den Kreuzfahrerzügen und Eroberungen im Mittelalter ist heute jeder Staatsapparat mit seinen Ge-heimdiensten bemüht im Internet seine eigene Hegemonie aufrechtzuerhalten und weltweit zu verbreiten. Einige In-formationen werden ausgeblendet, andere gezielt verstärkt, je nach Interesse und Nutzen. Medien und Politik gehen miteinander zusammen, nicht umsonst sind einige Me-dienmogule auch gleichzeitig führende Politiker oder deren Schattenmänner, die sich dann wie ein Zampano aus Fellinis „La Strada“ selber im eigenen Fernsehzirkus stark machen und vermarkten. In Wirklichkeit, politisch gesehen, weiß keiner mehr, was Sache ist. Konrad Paul Liessmann meinte sogar, die einzige Sendung, die sich mit Tatsachen be-schäftigt, ist die Wetterprognose. Alles andere sind In-terpretationen und permanente Unterhaltung.

 

Die postmoderne Theorie der globalen Beschleunigung (nach Hartmut Rosas „Beschleunigung“) 3 zeigt immer mehr, dass sich die weltpolitische und ökonomische Strömung in einem ähnlichen Strudel der Unkontrollierbarkeit der Mär-kte verliert. Als Folge dessen haben wir Wirtschaftskrisen und keiner weiß mehr genau den Ausweg.

 

Die Menschheit von heute braucht und sucht ein neues wirtschaftliches System, wo die soziale Kontrolle des Kapitals an Werten der Gesellschaft gekoppelt ist. Die Griechenland Pleite, der Börsen Crash, Occupy, Wiki-Leaks und Anonymus Angriffe auf Machtstrukturen sind nur einige Beispiele dafür.

 

Der Mensch zeigt sich seiner Aufgabe, die Welt gerecht zu gestalten, nicht gewachsen, oder noch nicht, um es op-timistischer auszudrücken. Der technische Fortschritt ent-wickelt sich unproportional zu der menschlichen, sozial gesellschaftlichen Entwicklung, so dass wir heute, in einer Art selbst verschuldeter Unmündigkeit, desorientiert hin-terher humpeln. So ein Mensch passt nicht zum heutigen Zeitgeist, wo genug Technologie als Mittel zur Verfügung steht, um alle elementaren Probleme der Welt von heute auf morgen zu lösen. Dies zeigt ein Paradox, dass die tech-nologische Entwicklung, die von der Menschheit selber vorangetrieben wurde, weit voraus der menschlichen sozial-ökonomischen Entwicklung ist. Der heutige Mensch ist nicht imstande, diese technologische Entwicklung sozial und gerecht zu nutzen und weil er die Technologie nicht optimal zu nutzen weiß, handelt es sich eigentlich um einen Missbrauch der Technologie.

 

Der Ausweg aus der heutigen Krise fordert Überwältigung von selbstzerstörerischen Kreisläufen von Wirtschaftsten-denzen, die an Habgier und Geldsucht gekoppelt sind. Eine fast unmögliche Mission, denn dafür müsste sich der Mensch von heute neu erfinden. So wie sich in der Politik der gewöhnliche Faschismus eingeschlichen hat, so hat sich auch in der Kunst der gewöhnliche Snobismus einge-schlichen. Die wahre, kritische, revolutionäre Kunst als uto-pisches Medium bleibt peripher, aber war das eigentlich nicht schon immer so? Die Erschaffung eines neuen Wirt-schafts-Paradigmas mit sozialer Vernunft wird so lange ein utopischer Gedanke bleiben, wie sich der Mensch nicht seinem eigenen korrupten Bewusstsein entgegenstellt. Die-se Fallen hat sich die Menschheit in ihrer tausendjährigen, politisch-wirtschaftlichen „Entwicklung“ selbst gebaut.

Andrej Tarkowskij  „Die versiegelte Zeit“, Ullstein Verlag, Frankfurt / M – Berlin  1996, S. 242

Phillipp Mossetter „Good economy oder warum Marketing noch keine Haltung ist“, Kulturzeitschrift Vorfreude Nr. 1

Harmut Rosa „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“, Suhrkamp 2005

Über die Poetik des Films

Was ist Kunst?

Auf die Frage; „Was ist Kunst?“ antwortete Balzac „Es ist die verdichtete Natur“. Aristoteles meinte: „Die Kunst vollendet das, was die Natur nicht ins Werk umsetzen kann, oder ahmt nach“. Nach Joseph Beuys ist jeder Mensch ein Künstler, denn das größte Kunstwerk, das einer in seinem Leben vollbringen kann, ist im Endeffekt – er selbst. Es ist die Arbeit an sich selbst – die Selbstverwirklichung als finales Kunst-werk. In welcher Form sich diese Selbstverwirklichung ma-nifestiert, ist vielfältig. Von allen Kunstarten ist die Musik als abstrakteste auch gleichzeitig die geistigste aller Künste. Und während die Musik als solche ohne Ausdrucksfunktion auskommt, ist es beim Film anders, denn auch beim künst-lerisch höchst anspruchsvollen Film ist es immer so, dass er an eine soziale Botschaft gekoppelt ist, von deren Rezeption entscheidend ist, ob das Werk beim Publikum „ankommt“ oder nicht. Das sagt nichts anderes aus, als dass das Werk nicht nur inhaltlich, sondern auch formell als eigenständiges Wesen für sich sprechen muss.

Ob jeder diese „Sprache“ versteht ist wiederum eine andere Geschichte. In der Kunstphilosophie nach F. Schelling, die später sowohl Hegel als auch Nietzsche, Adorno oder Bloch teilweise übernommen haben, ist Kunst als neue Einheit von Geist und Natur der unbewusste Träger des Absoluten. Die Kunst darf nicht eindeutig sein, da sie keine Wissenschaft ist, sie muss zur „unendlichen Auslegung“ fähig sein, „wobei man doch nie sagen kann, ob diese Unendlichkeit im Künstler selbst gelegen habe, oder aber bloß im Kunst-werk“4. Zu dem darf die Kunst nicht eine einfache Nach-ahmung der Natur sein, sondern in erster Linie als Ein-bildungskraft des Künstlers entstehen. Und zu guter Letzt, sie darf keinem praktischen Zweck Folgeleisten, d.h. sie soll im weltlichen Sinne „nutzlos“ und als eigenständiges „We-sen“ für sich selbst sein – Kunst um der Kunst willen. Dies wäre die reinste und heiligste Form der Kunst nach Schelling.

 

„Die Form ohne Inhalt ist nicht eine Hand,

sondern ein leerer Handschuh, gefüllt mit Luft.“

Wassily Kandinsky

 

Über die Filmform

In der Kunsttheorie gibt es zwei Formen; die geschlossene und die offene Form. Die geschlossene Form im Film be-zeichnet einen linearen und nach den Regeln der Kausalität funktionierenden Aufbau der Handlung mit Anfang, Mitte und Ende. Aus kausalen Verbindungen entsteht ein roter Faden, der zur Idee und Botschaft des Werkes führt. Diese Idee wiederum kann eine eindimensional, stereotype d.h. rein auf die Unterhaltung bedachte Geschichte oder aber eine mehrschichtige z.B. psychologische Studie bzw. ein als Gesellschaftskritik angelegtes Kunstwerk sein. Im Film findet sich die geschlossene Form großteils im klassischen Main-stream- und Hollywood-Kino. Die Mainstream Ästhetik ist stark von der Werbungs-Ästhetik abgeleitet oder beeinflusst d.h. die Ästhetik richtet sich eher nach dem Produkt. Nicht umsonst wird in Hollywood bei s.g. „Screening Proben“ in diversen Provinzen der Film und seine Empfänglichkeit beim breiten Publikum geprüft und gepitcht. Die Form und Hand-lung des Films wird dann entsprechend der Reaktion des Publikums „verwässert“, um es noch konsumfähiger und damit noch profitabler zu machen. Damit wird der Zweck des Werkes im Endeffekt „entkünstlicht“ und zur Konsum-ware verdinglicht. Ab da kann es sich nicht mehr um „Film als Kunst“, sondern eher um „Film als Ware“ handeln. Der Zuschauer wird im wahrsten Sinne des Wortes nur Zu-schauer, weil er außer einer einfachen kognitiven Reflexion intellektuell kaum gefordert wird. Er bekommt die Idee auf dem Silbertablett fertig verpackt serviert. Das einzige, was von ihm erwartet wird (und was ihm letztendlich noch übrig bleibt) ist, dass er „zubeißt“.

 

Zur Psychologie solcher Filme schrieb Rudolf Arnheim in „Film als Kunst“: „So wie sich dem Psychologen aus einer belanglosen Traumgeschichte die Seelenkonstruktion seines Patienten enthüllen kann, so bieten diese albernen Film-geschichten Material zu einer Psychologie des Durch-schnittsmenschen. […] Diese Filme bieten, um das Publikum zu erfreuen, zweierlei: sie zaubern das Angenehme und Gute, was alle Menschen sich wünschen, herbei, und sie, zeigen die Bestrafung des Schlechten. Sie operieren dabei, wie sich zeigen wird, mit sehr spießbürgerlichen Wertmaßstäben. Daß sie trotzdem eine so weltumspan-nende Zustimmung finden, zeigt, wie verbreitet insgeheim der Geschmack am Spießbürgerlichen und Rückständigen ist. […] Denn das Schlechte ist dem Menschen lieb, und das Dumme ist ihm eingeboren, und so muß einer, der den Willen hat, die Welt zu bessern, diesen Willen durchsetzen nicht nur gegen äußere Widersacher sondern vor allem gegen sich selbst. Dies Dumme und Schlechte im Menschen streichelt der Konfektionsfilm; er sorgt dafür, dass die Unzufriedenheit sich nicht in revolutionäre Tat entlade, sondern in Träumen von einer bessern Welt abklinge. Er serviert das Bekämpfenswerte in Zuckerpastillen.“ 5

 

Für Arnheim sind solche Filme also äußerst reaktionär und regressiv, denn indem sie dem Publikum bunte Happy End Pillen gegen den grauen Alltag servieren, prägen sie das bestehende Weltbild mit seinen wirtschaftlichen Prämissen und seiner Ordnung tief in dessen Psyche ein. Auch, wenn die Welt untergehen sollte, scheint es einfacher zu sein, die Apokalypse zu überleben, als die wirtschaftlichen Produk-tionsprozesse zu optimieren oder zu verändern.

Psychoanalytisch betrachtet haben damit die Medien die tausendjährige Funktion der Kirchen als Erzieher von un-mündigen Massen abgelöst.

 

Die offene Form dagegen hat keinen linear-narrativen Aufbau, das ganze Konstrukt ist mehrdeutig und wird oft aus vielen Fragmenten in ein Ganzes zusammengebaut. Nicht selten versucht sie mit Provokationen das Publikum aus dem geistigen Schlafmodus zu erwecken und in das Werk aktiv mit einzubeziehen, indem sie das Publikum intellektuell fördert.

 

Umberto Eco spricht vom „Kunstwerk in Bewegung“ 6, weil es neben der Mehrdeutigkeit auch noch um die „Beweglichkeit der Form und Unbestimmtheit“ geht. Da das Werk und der Zuschauer im ständigen Fluss sind, mündet die Sinnhaftigkeit oder die Essenz des Ganzen mit ihren jeweiligen persönlichen Deutungen in mehrdeutiger inter-pretativer Pluralität. Es ist wie eine „Sprache des Geistes“, denn die Wahrnehmungskoordinaten von einem offenen Kunstwerk, also seine kausale und narrative Rezeption ist letztendlich abhängig vom geistigen Horizont des Publikums. Peter Wuss hat das Konstrukt des offenen Kunstwerks von Umberto Eco übernommen und systematisch in s.g. Topik-Reihen7 erweitert. Die Sinngebungen liegen nicht im Film „eingelagert“, sondern sie müssen so wie in der Alltags-wahrnehmung durch den Zuschauer erst vorgenommen werden. In einem offenen Kunstwerk ist es nicht angebracht, die letzte Quintessenz des Werkes dem Publikum vor-wegzunehmen, als wenn es nicht fähig wäre, mit eigenem Kopf zu denken. Alleine aus Respekt sollte ihm überlassen werden, die letzte verborgene Weisheit selber auszu-sprechen.

 

Die offene Form findet man in allen Sphären der Kunst. Besonders in der Musik bei Komponisten wie Stockhausen, Morton Feldman, John Cage oder beim Jazz. In der Literatur ist James Joyce für seine offene Kunstform bekannt. Seine Romane „Ulysses“ und „Finnegan Wake“ sind auf ver-schiedene Arten lesbar, weil in ihrer Tiefe und Mehr-deutigkeit das ganze menschliche Universum zu erfassen versucht wird.

 

Bei Filmen findet sich die offene Form sehr oft in s.g. Autorenkino- und Independent Filmen, deren Produktionen nicht unbedingt dem Diktat des Marktes verfallen sind.

 

Der Film „Der Wald“ hat auch eine offene Form, da der Film mehrdeutig und auf verschiedene Weise gesehen werden kann. So gibt es z.B. eine materialistisch-ökonomische In-terpretationsebene, es gibt auch eine psychoanalytische Interpretationsebene und es gibt eine philosophischmeta-physische Interpretationsebene. Was alle möglichen Ebenen dennoch verbindet ist die Idee des Films.

 

Wenn ich die Idee des Films nennen soll, dann ist es „Die ewige Suche nach dem Sinn“. Viele suchen, ohne zu wissen, was sie wirklich suchen, und jeder sucht etwas anderes, am Ende jedoch suchen wir alle das Gleiche – nämlich uns selbst.

„Kunst ist eine in Form gebrachte Forderung
nach Unmöglichem.“

Albert Camus

Um kurz den Begriff „Die ewige Suche nach dem Sinn“ zu erläutern: Seit der Antike gibt es eine Weisheit, die phi-losophisch als auch mystisch gilt, dass nicht nur der Mensch, sondern die ganze Natur aus dialektischen Bipolaritäten besteht. Eine Art von Yin-Yang. In der Philosophie zieht sich das Problem der Dualität von Körper und Geist bis heute durch. Bei dem Psychoanalytiker Erich Fromm hat die menschliche Natur oder Psyche zwei Seiten, die eine ist das „Sein“, die andere das „Haben“.8 Dies wird im Film von den zwei Hauptprotagonisten verkörpert. Das „Sein“ sucht nach der „Essenz“ oder anders ausgedrückt nach dem „Sinn des Ganzen“ während das „Haben“ lieber nach der materiellen Absicherung sucht. Und während die beiden Filmpro-tagonisten ihre sozialen Rollen in ihrer gewohnten Um-gebung noch mechanisch spielen, verfallen die Fassaden ihrer Bürgerlichkeit später im Wald, als sie der Natur und dem Lauf der Dinge überlassen werden. Das „Verlorene“ kommt immer mehr zum Vorschein. Irgendwo im ihrem tiefen Innern fühlen beide, dass sie eigentlich so gut wie nichts wissen. Genauso, wie sie sich im Wald verlaufen, so sind sie sich auch, in ihrem Innern, selbst vollkommen fremd und verloren. Sokrates meinte: „Ein unbewusst gelebtes Leben, ist nicht wert, gelebt zu werden“, weil dann ist der physische Tod der einzige, evidente Beweis, dass wir gelebt haben. „Ungeboren“ zu sterben ist das traurigste Schicksal eines Menschen. Und so wird das geistige Abenteuer durch das Leben immer mehr zur einer leidenden Suche nach dem Sinn.

 

Nach dem Prolog, der als Miniatur des Ganzen steht, folgt die narrative Geschichte, die zur Reflexion des Lebens wird. Die narrative Linie spaltet sich aber ab dem Punkt, wo die Kinder verschwinden und die Protagonisten sich im Wald verlaufen. Ab da geht auch die Montage auseinander. Es entstehen mehrere Fragmente des „Seins“. Diese Fragmente sind „Wesensmerkmale“ oder „Theoreme“ der jeweiligen Figuren, ihr tiefstes Charakteristikum in Bezug zu der Welt und der sozialen Umgebung. Diese Fragmente sind das innere Porträt einer Gesellschaft – ihr Psychogramm.

 

In wieweit hier die Form zum Inhalt wird, lässt sich aus Folgendem erschließen: Die Form der fragmentarischen Er-zählweise passt zum heutigen Zeitgeist und zu einer global gewordenen und dennoch zerstreuten Welt.

 

Die Zeit der analogen, linearen Rezeption des Lebens als etwas Kontinuierliches oder Stufenloses ist heute selten mehr gegeben. Die Natur der Menschen betritt damit ein neues Terrain, in dem sich der alte Geist noch anpassen muss. Da wir ständig von Werbung, Emails, Whatsapp Nachrichten oder Twitter unterbrochen werden, ist unser Handeln heute aus vielen Fragmenten zusammengeflickt. Unser Denken ist überall zerstreut, wir sind überall, nur nicht da, wo wir sind. Die technologische Beschleunigung im Dienste des Konsums und Profits bestimmt das Tempo des Lebens, ein Perpetuum mobile aus Konsum, Profit und permanenter Unterhaltung. Wer noch mitmachen will und sich einen Platz an der Sonne sichern will, muss sich beeilen.

Burnout, Depression, Entfremdung sind Nebenwirkungen in so einer Verdinglichung der Welt. Ab einem gewissen Punkt besteht kein realer Bezug zum Leben mehr, die Welt ver-stümmelt und wird zum toten Subjekt. Das Absurde dabei ist; umso mehr wir das Leben intensivieren, umso schneller wir das Hamsterrad drehen, umso entfremdeter werden wir. Denn die Steigerung der Lebensintension ist nur bis zu einem gewissen Punkt möglich, ab diesem gewissen Punkt befinden wir uns in einer Dimension des rasenden Still-stands, wo eine totale Immunität gegen jede Art von Em-pathie überhand genommen hat und wo alles gleichgültig wird. Wir schreien in die Welt, doch keiner hört uns, denn die Welt ist längst nur eine Simulation des Realen. Albert Camus sagt: „Die Geburt des Absurden geschieht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Menschen nicht anders können, als in die Welt hineinzurufen – um dann aber nur ihr Schweigen zu erfahren.“ Diese Angst, dass die Welt um uns verschwindet, dass wir jeden Bezug zur Welt verlieren, ist im heutigen Zeitgeist allgegenwärtig.9

 

Wenn die Moderne als der revolutionäre Weg in das Ganze, also ins utopisch Absolute betrachtet wird, dann ist die Post-moderne der verlorene Pfad, der sich auf einer Kreuzung in mehrere Richtungen spaltet. Die Bruchstücke, die fragmen-tarisch im Geiste herumliegen, warten auf eine neue Zu-sammensetzung, ähnlich der Wiedergeburt des Platonis-mus im Christentum oder der Antike in der Renaissance.10 Die Moderne hat sich zwar als tot erklärt zurückgezogen, sie lebt aber weiterhin innerhalb der Postmoderne, aber nicht als Ganzes oder als eigenständiger Geist, sondern als viele überwucherte Pfade einer vergessenen Welt.

 

Da unsere Wahrnehmungen seit Jahrtausenden analog kontinuierlich lineare und stufenlose Rezeptionen des Nar-rativen waren, ist das, was wir heute als große depressive Unmündigkeit erleben, eine evolutionäre Anpassung an neue entfremdete Umstände der digitalen fragmentarischen Lebensweise.

 

Im Laufe des Films verlässt die narrative Dramaturgie den horizontalen Verlauf und stellt damit sowohl das Narrative als auch die Dramaturgie in eine vertikale Perspektive, die in die Suche nach dem höchsten „Selbst“ strebt und endet. Das höchste Selbst steht aber hier nicht mehr in der Sphäre des Dialogs oder Textes, sondern eher in der poetischen Abstraktion der Bilder und Musik.

 

Damit wird die Kunst als abstrakte Essenz des Lebens die höchste Form des Seins. Doch diese höchste Position, wie auch immer wir sie nennen wollen, Erkenntnis oder Selbst-verwirklichung, können wir nicht auf immer halten, wir verfallen und müssen uns, wie Sisyphus, jedes Mal diese Höhe auf ein Neues erarbeiten. Der Epilog oder das letzte poetische Bild schließt den Kreis mit dem Prolog und gibt die Antwort auf die Frage nach der Suche, nach dem Sinn des Lebens, mit einer Gegenfrage: „Inwieweit ist ein Mensch wirklich existent, wenn er die Essenz des Seins kaum wahrnehmen kann?"

Die ewige Suche

0F. W. J. Schelling: Texte zur Philosophie der Kunst, Reclam, Stuttgart 2010, S.112

0Rudolf Arnheim „Film als Kunst“, Carl Hanser Verlag München 1974, S.194-195

0Umberto Eco „Das offene Kunstwerk“, Suhrkamp 13. Auflage, 2016, S. 42

0Peter Wuss „Die Tiefenstruktur des Filmkunstwerks – zur Analyse von Spielfilmen mit offener Komposition“,
07  Henscherverlag Berlin 1986, Peter Wuss „Filmanalyse und Psychologie: Strukturen des Films im Wahrnehmungsprozess“,
07  Berlin; Sigma, 1993

0Erich Fromm, „To have or to be“ 1976, Harper & Row, New York

0Hartmut Rosa, in der Ausgabe 02/2013 (Februar/März) der Zeitschrift „philosophie Magazin”

10  „Renaissance“ franz. = Wiedergeburt

CREW

CAST

Buch, REGIe, DoP

Viktor Gasic

ART DIRECTOR

Stefanie Boike

Marek

Daniel Fritz

MUSIC

Minkyu Kim

MONTAGE

Art Vigo

Paul

René Erler

CAMERA

Erik Wittbusch

2nd CAMERA

TON

Detlef Gutzeit

Christoph Klöcker

Swenja

Sabrina Strehl

Maria

Andreas Wiechers

Andrzej Król

landscape CAMERA

Stefanie Boike

John Watts

Visual Artist, Colorist

Sergej Romanov

SOUNDDESIGN

Keiko Imamura

Mischtonmeister

Michał Krajczok

Produktionsleitung

Kim Sun Park

Pavel Sebek

Carlos Naranjo

Leni Wesselman

Sina

Lilith Bietmann

Phillip

Noam Bietmann

MANAGER

Klaus Bräuer

TECHNICAL INFO

Originaltitel

Bildformat

Ton

Länge

Der Wald

2,39 Scope

Digital Surround

138 Minuten

Sprache

Untertitel

Produktion

Format

Deutsch

CZ, EN, FR, GR, IT, SP

2013–2018

DCP Scope Farbe

 

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